Es war Abend geworden. Gemütlich warm war's in der geheizten Stube des alten Herrn Pfarrer. Der schaute zum Fenster hinaus und beobachtete die dunkeln Wolken, welche sich in der spätherbstlichen Dämmerung über den Hohen Kasten schoben.
Es könnte stürmisch werden, dachte sich der Pfarrer. Ihm wurde unwohl.

Beschaulich, sehr beschaulich ist das Leben des pensionierten kirchlichen Würdenträgers geworden. Mittlerweile 85 Jahre alt, am Stock gehend, ist sein Leben einsamer denn je. Selten kam Besuch von der Kirchenpflege, aber auch der hatte eher nur etwas Flüchtiges, Beiläufiges an sich. Jedesmal fragte er sich, ob dies mit ihm persönlich zusammenhänge, oder ob es einfach nur die Mentalität des Tals war. Denn seit er hier ist, begegnete man ihm mit einer gewissen Distanz, welche ihn an seine Jugendzeit im Zürcherischen erinnerte, bevor er sich zum Priestertum entschloss.
Was er seit der Pensionierung beibehalten hatte, war der sonntägliche Kirchgang. Das gab ihm irgendwie Halt, eine Orientierung in diesem vierdimensionalen Irgendwie-Nichts. Sonst einfach nur Denken, etwas Lesen, wieder Denken. Und zwischendurch etwas Kleines essen. Keine wirklichen Mahlzeiten, solche wollte er nicht, auch wenn ihm jemand kochen würde.
Worauf er jedoch achtete, war regelmässiges Wassertrinken. Frisches Hahnenwasser. Diese Gaumenfreude liess er sich bis heute nie nehmen.

Als der alte Mann noch zur Schule ging, stritten sich seine Eltern oft. Der Vater war als Maschinist tätig und verdiente wenig. Sein Lohn kam oft verspätet, oft bat er seinen Arbeitgeber auf Knien um eine kleine Gehaltserhöhung.
Was sein Vater auch versuchte: Das Geld reichte ihm nie, um die Familie mit den sechs Kindern selber durchbringen zu können. Die Familie war auf die Gütigkeit ihrer Nachbarn angewiesen, welche selber nur wenig hatten. Und Kinder sind grausam, wenn es um's Vergleichen geht.
Ein Leben wie sein Vater wollte der Heranwachsende nicht. Sich tagein, tagaus hinter der Maschine die Füsse halbwund stehen, ohne frische Luft und ohne Tageslicht, für einen Hungerlohn, so etwas ging ihm gegen den Strich.
Von seinen Schulnoten her hätte er Lehrer werden können, doch für eine so verantwortungsvolle Tätigkeit hatte er zuwenig Selbstvertrauen.
In der Kirche sah er die einzige Möglichkeit, ein einigermassen anständiges Auskommen zu erwirtschaften, ohne sich wie ein verstossener Hund im Dreck versklaven zu müssen. Zumal er nicht in mehbessere Kreise hineingeboren worden war, welche über die entsprechenden Beziehungen für eine Kaufmanns- oder Bankkarriere verfügten.

Vom nicht weit entfernten Kirchlein her hörte er das Zauntürchen klappern.


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